Annette Kelm

Portrait Annette Kelm
Annette Kelm courtesy the artist and KÖNIG Galerie
Annette Kelm wurde 1975 in Stuttgart geboren.
Sie lebt und arbeitet in Berlin.

Weitere Informationen: Annette Kelm in der Galerie Johann König

Du bist in Stuttgart aufgewachsen, wie hat Dich die Stadt geprägt?
Ich bin in Stuttgart-Zuffenhausen aufgewachsen. Als Kind habe ich viel Zeit auf einem Abenteuerspielplatz, der Jugendfarm, verbracht. Ich hatte viel Zeit, um Erfahrungen in der Natur zu machen und habe dort Holzhäuser gebaut. Später bin ich immer nach der Schule ins Werkstatthaus Ost gefahren und habe dort in der Metallwerksatt Skulpturen geschweißt oder etwas aus Stein gehauen. Diese städtischen Orte für Jugendliche waren sehr wichtig für mich, es waren Orte an denen ich mich ausprobieren konnte. Auch meine ersten Erfahrungen mit Fotografie habe ich dort gemacht. Ich erinnere mich noch, wie ich meinen ersten Film im Ziegenstall entwickelt und vergrößert habe. Das war ein magischer Moment. Nach Stuttgart komme ich immer wieder gerne zurück.

In Deinem Werk fallen zwei unterschiedliche Herangehensweisen auf. Einmal arbeitest Du konzeptuell, dokumentarisch, recherchierst zur Darstellung des Feminismus in Museen oder zu den Büchern, die durch die Nationalsozialisten verboten wurden, fotografierst Teile eines von den Nationalsozialisten in Auftrag gegebenen Denkmals. Andererseits komponierst Du in einem spielerischen Schöpfungsprozess fast schon surreal anmutende Bilder.
Beide Zugänge sind für mich gleichermaßen wichtig und ich arbeite meistens parallel an mehreren Projekten. Beim spielerischen Zugang finde ich oft etwas durch Zufall. Und andererseits suche ich Dinge gezielt, zum Beispiel als ich mit der Darstellung des Feminismus in deutschen Museen beschäftigt habe. Im Haus der Geschichte in Bonn werden zur Geschichte des Feminismus in einer Vitrine so groß wie ein Kleiderschrank eine lila Latzhose, ein Emma-Heft und Flugblätter gezeigt, während nebenan die Geschichte der Anti-Atomkraft-Bewegung in einem riesigen Raum gezeigt wird. Das gleiche Set-Up wurde und wird auch in anderen Museen, zum Beispiel dem Deutschen Historischen Museum in Berlin und dem Haus der Geschichte Baden-Württemberg gezeigt. Es ist natürlich ziemlich absurd, eine Bewegung, die die Rechte von circa fünfzig Prozentder deutschen Bevölkerung erkämpft hat, so wenig Raum zuzugestehen und mal eben kurz abzuhaken. Es ist eine politische Entscheidung, wieviel Raum man einem Thema gibt, wie Geschichte dargestellt wird. Geschichte wird immer neu geschrieben und ihre Darstellung ist nie objektiv.

Wie ist die Arbeit über die Travertinsäulen entstanden?
Mirjam Zadoff und Nicolaus Schafhauen, die Kurator*innen der Ausstellung „Tell me about yesterday tomorrow“, im Münchner NS-Dokumentationszentrum hatten mich eingeladen ein Projekt zum Thema Nationalsozialismus beizutragen. Ich habe dann zwei Projekte vorgeschlagen: Die Travertinsäulen und die Arbeit über die Bücher, die verbannt werden sollten. Mir würden auf Anhieb noch einige weitere Projekte zu dem Thema einfallen.
Die 14 Travertinsäulen, die 15 Meter hoch sind, stehen aufgereiht an der Schnellstraße vor dem ehemaligen Steinbruchgelände in Stuttgart Münster. Als Kind bin ich oft mit meinen Eltern im Auto daran vorbeigefahren und sie haben sich mir als Zeichen des Größenwahns Hitlers eingeprägt. Die Säulen waren für ein Denkmal für Mussolini am heutigen Theodor-Heuss-Platz in Berlin im Zuge der Umgestaltung zu Germania geplant worden. Sie wurden dann aber nicht mehr ausgeliefert. Die Firma Lauster hatte die Säulen dann nach dem Krieg von der Stadt Berlin zurückgekauft. Nun stehen sie aufgereiht und wie bestellt und nicht abgeholt am Rande der Schnellstraße vor dem Steinbruch, umringt von der noch viel gigantischeren Müllverbrennungsanlage Stuttgart-Münster.

Annette Kelm wird von der Galerie KÖNIG in Berlin vertreten. Wir danken für die Kooperation.
In seinem Podcast „Was mit Kunst“ sprach Johann König im November 2020 mit Annette Kelm.
Abbildung: „Travertinsäulen” von Annette Kelm (links)

Abbildung: „Travertinsäulen” von Annette Kelm (links)